Manchmal ist es gut, eine Pause zu machen. Auch vom Tantra? Ein paar Gedanken zu Assoziationen, die manche in Bezug auf Tantra haben und worum es in der Tantrapraxis eigentlich geht …
Wer sich von einem meiner Newsletter abmeldet, bekommt eine Mail, in der ich nachfrage, wieso diese Person die News nicht mehr erhalten möchte. Die meisten schreiben in ihrer Antwort, sie würden zu viele Mails bekommen. Das ist eine höfliche Form zu sagen, „was du da schreibst, interessiert mich nicht mehr“. Damit kann ich etwas anfangen. Wenn jemand sich von meinem Musik-Newsletter abmeldet und schreibt, sie würde keinen Tango mehr tanzen, kann ich auch etwas damit anfangen.
Wo ich jedes Mal von Neuem anfange mir Gedanken zu machen, sind Rückmeldungen wie „Ich brauche mal eine Pause vom Tantra“ oder „Ich mache kein Tantra mehr“.
Ich frage mich dann, was diese Person wohl gemacht hat, wenn sie das gemacht haben, was sie als „Tantra“ bezeichnet. Es scheint sich da um eine Disziplin zu handeln, bei denen ihr irgendjemand erzählt hat, dass es sich bei irgendwelchen Übungen um „Tantra“ handeln würde.
Nein, das ist kein Tantra. Wer mal temporär „Tantra macht“, praktiziert kein Tantra und hat auch nicht begriffen, worum es im Tantra geht.
In Kürze: Tantra ist eine Haltung dem Leben gegenüber, die nichts bewertet und sich offen zeigt gegenüber allem, was ihr begegnet. Tantra hat keine Regeln oder Vorschriften und ist in diesem Sinne zutiefst anarchisch. Tantrisch zu leben ist verbunden mit der inneren Quelle, die aus dem unendlichen Raum heraus sprudelt.
Wer Tantra praktiziert, wird also immer wieder innehalten, um zu spüren, wo der Weg weitergeht. Die Quelle ist bei dieser Form von Weisheit nicht der Verstand, sondern der Input einer Kraft, die aus einem Bereich heraus wirkt, der dem Verstand nicht zugänglich ist. Der verstandesmäßig erfassbare Bereich ist nun mal nur ein kleiner Teil von etwas, was viel größer ist als alles, was mit unserem Verstand erfasst werden könnte.
Was hat das jetzt mit Sex zu tun?
Mir ist schon klar, dass manche Menschen, die eine Pause vom Tantra brauchen, zu viele Workshops besucht haben, bei denen es um sexuelle Praktiken geht. Es handelt sich um ein attraktives Geschäftsmodell, wenn Anbieter*innen Kurse für sexuelle Freizügigkeit als „Tantra“ bezeichnet. Und das funktioniert natürlich wunderbar innerhalb einer Gesellschaft, die sexuelle Freizügigkeit vorgibt und in Wirklichkeit fast ausschließlich aus Individuen besteht, deren Sexualität auf unterschiedliche Art und Weise unterdrückt wurde bzw. die diese in ihrem erwachsenen Leben aus unterschiedlichsten Beweggründen selber unterdrücken.
Wenn wir Tantra als eine potenzielle Grundlage zur Gestaltung des individuellen Alltags betrachten, dann ist es sicherlich die einzige Disziplin, bei der Sexualität nicht mit Wertungen belastet ist. Sexualität wird im Tantra als eine energetische Quelle angesehen, deren Kraft sich in einem sexuellen Kontakt mit anderen Menschen verstärken kann. Das immer intensiver zu erleben bedarf eines jahrelangen Trainings, innerhalb dessen ich mir der Faktoren, die mich in meiner sexuellen Interaktion antreiben, Schritt für Schritt bewusster werde.
Dafür bedarf es Räume, in denen ich eine bisher unterdrückte Sexualität lebendig werden lassen kann. Viele sogenannte Tantraanbieter schaffen diese Räume, wo nach bestimmten Regeln Sex stattfindet. Leider bleiben sie aber an diesem Punkt stehen, selbst wenn sie noch eine Prise Spiritualität beimischen.
Mir ist verständlich und nachvollziehbar, dass unter Tantraangeboten in erster Linie Sexworkshops stattfinden. Und es ist gut und wichtig, dass es diese gibt. Aber das ist nicht Tantra. Wer einen Vergleich möchte: Viele verstehen unter Yoga ein Praktizieren von gymnastischen Übungen, bei denen man zum Ende der Folge vielleicht noch dreimal Om singt. Aber die Asanas sind nicht Yoga, sondern nur ein Element davon.
Verständlich ist auch, dass sich das Angebot für „Tantra“ auf den sexuellen Bereich beschränkt. Sonst kommt nämlich kaum noch einer. Ich habe selber als Anbieter von Kursen die Erfahrung gemacht, dass eine Erweiterung des Angebots über den Bereich Sexualität hinaus zu einer erheblichen Reduzierung der Anzahl der Teilnehmer*innen meiner Gruppen geführt hat. Da ich es immer gerne genau wissen will, habe ich vor einigen Jahren mal einen Kurs für tantrisches Bewusstseinstraining angeboten. Ich habe dieses Angebot breit beworben. Soweit ich mich erinnere, gab es nur eine einzige Anmeldung.
Ich habe mich trotzdem aus der Nische „Tantraangebote zur Befreiung sexueller Wünsche und Bedürfnisse“ weitestgehend zurückgezogen. Im aktuell einmal jährlich stattfindenden Angebot der Tantraoase gebe ich Raum, sich selber im Kontakt mit anderen zu erforschen. Aber dieses Erforschen hat viele Ebenen und viele Facetten. Ich versuche jedes Mal wieder von Neuem herauszufinden, was für die Teilnehmenden, die sich hier in einer Gruppe finden, auf ihrem individuellen Weg gerade anliegt, damit es möglich wird, neue Erfahrungen zu machen und diese dann in den eigenen Alltag zu integrieren.
Tantra ist eine offene Haltung dem Leben gegenüber und dies zu praktizieren braucht Bereitschaft, sich auf einen Weg einzulassen, der einen komplett aus allen bisher bekannten Bahnen herausführen kann. Wohin? Nun, ins Leben eben …
Ein paar Hinweise
Ich selber bin aus verschiedenen Gründen nicht im sogenannten „Social Media“ aktiv und verzichte somit auf Reichweite. Ich freue mich, wenn Du meine Gedanken auf Deinen Kommunikationskanälen mit anderen teilen und verbreiten magst.
Du darfst mir gerne schreiben, was Dich beim Lesen eines Beitrags bewegt. Ich behalte mir vor, Sequenzen aus Mails von Leser*innen unter einem Beitrag in einer Form zu veröffentlichen, dass keine Rückschlüsse auf Dich möglich sind. Wenn Du das NICHT möchtest, schreibe das bitte.
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